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Hells Bells

Bellheimer Sommernachtslauf 2010

Peng! Ohne jegliche Vorwarnung kracht der Startschuss und schickt uns auf die 25 Kilometer des Bellheimer Sommernachtslaufs. Kein Herunterzählen, keine Ansage - nichts, was bis in die geschätzt 10. Reihe des Startblocks durchgedrungen wäre, in welcher ich mich zusammen mit meinen Vereinskollegen Günter und Dietmar aufgestellt habe. Vielleicht hat Eddi, der ein Stück weiter vorne steht, etwas mitbekommen. Egal - Wir setzten uns mit der Läufermasse in Bewegung und haben bis auf ein paar Schrecksekunden auf den eigenen Stoppuhren nichts verpasst.

Nach langer Wettkampfpause habe ich den Sommernachtslauf als Aufbauwettkampf deklariert. Diese prophylaktische Maßnahme erspart mir im Falle einer mäßigen Leistung, die üblichen Ausreden wie Wetter, Strecke, Temperatur der Getränke oder Ähnliches strapazieren zu müssen. Insgeheim liebäugele ich aber eigentlich mit einem 4-Minuten-Schnitt, den ich kurz vor dem Start in Anbetracht der 26 Grad auf dem Thermometer großzügig auf 4:05 pro Kilometer reduziert habe. Falls ich dann im Bereich von Kilometer 20 das Tempo nicht mehr halten kann – so mein Masterplan – sollte das immer noch eine klare Ansage für den Karlsruher Halbmarathon in 6 Wochen sein. Jedenfalls möchte ich irgendwo zwischen 1:40 und 1:45 ins Ziel kommen.

Dietmar und ich stolpern zunächst im dichten Gedränge herum. Dann nimmt Günter, der alte Fuchs, das Zepter in die Hand und zeigt uns, was ein Erfahrungsplus von drei Altersklassen wert sein kann. Geschickt schlängelt er sich durch die Menge und zieht uns in seinem Kielwasser mit.

Nachdem das gröbste Startgetümmel überwunden ist, beschleunigen Dietmar und ich auf einen strammen 4 Minuten Schnitt, der sich durchaus machbar anfühlt. Die ersten Kilometer führen kreuz und quer durch Bellheim. Überall stehen Zuschauer, die Stimmung im Feld und an der Strecke ist gut.

"Das ist aber kein 5er-Schnitt ..." bemerkt ein Mitstreiter zu seinem Nebenmann. "... aber was man hat, hat man". Gelächter im Feld, ist dies doch einer der Top-10-Sprüche in der Liste der katastrophalsten Marathon-Tipps. Aber schließlich ist das heute kein Marathon und ich möchte heute durchaus auch etwas riskieren.

Dietmar zieht das Tempo eisern durch, aber mir ist das doch zu flott und ich reduziere ein wenig auf meine geplanten 4:05/km, eine persönliche Bestzeit wird das allemal. Diese selbstsichere Prognose basiert allerdings weniger auf einem unerschütterlichen Vertrauen in meine Form als vielmehr auf der simplen Tatsache, dass dies schlicht und einfach mein erster 25km-Wettkampf ist. Im Internet hatte ich bereits gelesen, dass dies früher eine häufig gelaufene Distanz war, bevor die knapp vier Kilometer kürzere Strecke mit dem magischen Wörtchen "Marathon" vor dem "Halb" populär wurde. Trainer "Chip" hatte mir das dann auch bestätigt, nicht ohne die Berichte von den guten, alten Zeiten noch mit seiner 25km-Bestzeit zu schmücken, welche ich mir selbst als Halbmarathon-Bestzeit nie und nimmer zu erträumen wage.

Noch einmal kommen wir an ein paar größeren Zuschauergruppen vorbei. Dann, nach ca. 6 Kilometern, verlassen wir Bellheim und begeben uns auf die lange Gerade in Richtung Westheim. Ein paar dünne Wolken haben sich gnädig vor die Sonne geschoben und auch die länger werdenden Schatten machen die Temperaturen erträglicher.

Die Strecke ist wirklich noch flacher als die üblichen Läuferwitze im Startblock. Nicht einmal eine Unterführung oder Brücke stört den Lauffluss. Nach einer Weile bin ich derart verwöhnt, dass mir bereits ein paar Meter aufgesprungenen Asphalts als Behinderung erscheinen.

Kilometer 10 erreiche ich mit 40:53 gerade im Soll, der Letzte dauerte mir mit 4:18 allerdings ein wenig zu lange. War das nur ein falsch postiertes Kilometerschild?

Ein paar Kilometer weiter erreichen wir Westheim und inzwischen kann ich mir die Sache beim besten Willen nicht mehr schönrechnen: Das ist nicht einmal mehr annährend mein geplantes Tempo! Ich drücke aufs Gas aber nach wenigen Metern schnaube ich wie ein Walross und die Beine geben einfach nicht mehr her.

Was ist nur los? Das Training lief doch so gut! So viel können die Temperaturen nun auch wieder nicht ausmachen! Habe ich zu wenig gegessen? Für diesen Fall stecken eigentlich zwei Päckchen Gel in meiner Laufhose, aber mein Mund ist derart ausgetrocknet, dass mir der bereits Gedanke an die pappsüße Paste mit der Konsistenz angetrockneten Tapetenkleisters einfach unerträglich ist. Stattdessen genehmige ich mir an der nächsten Erfrischungsstelle ein paar Meter langsameren Tempos, um beim Trinken aus zwei schwappenden Bechern die Trefferquote zu erhöhen.

Nun passieren wir das Örtchen Lustadt, aber ich habe längst keine Lust mehr. Da hilft auch die prächtige Stimmung am Straßenrand nicht. Die Leute feiern und feuern uns an. Aber die Zahlen auf den Kilometerschildern sind viel zu klein und die Zahlen auf meiner Uhr viel zu groß.

Bei Kilometer 19 hat sich die Sommernacht in einen echten Albtraum verwandelt. Der große Unterschied zum Halbmarathon - das wird mir jetzt klar – liegt in der Tatsache, dass ich mich jetzt eben nicht kurz vor dem Ziel befinde. Ein Glück, dass wir jetzt nicht in der Nähe des Zielbereichs vorbeikommen, der Gedanke an einen Ausstieg ist extrem verführerisch. Aber wie sollte ich dann zurück nach Bellheim kommen? Also schleppe ich mich weiter.

Noch schlimmer als die Gratwanderung entlang der physischen Grenzen sind die quälenden Selbstzweifel. "Was ist nur los? Du hast Dich doch in den letzten Wochen so fit gefühlt?" Scharen von Läufern stürmen an mir vorbei. Zwei davon unterhalten sich gerade über ihre Marathon-Bestzeiten, während sie an mir vorbeiziehen. Bereits die Tatsache, dass ich diese Zeiten in den letzten drei Jahren durchgehend locker unterboten hatte, wäre Demütigung genug. Aber dass die Burschen jetzt auch noch genug Luft für das ganze Geplapper haben, ist wirklich zu viel!

"Mann – Reiß Dich zusammen!" fahre ich mich an, um die sich auftürmende Welle des Selbstmitleids zu verscheuchen. "Jetzt mache aus dem verkorksten Abend wenigstens einen anständigen, langen Tempodauerlauf!".

Trotz Absperrung kommt mir ein Auto entgegen und drängt mich zur Seite, wobei ich beinahe mit einem Mitstreiter kollidiere. Ich verpasse dem Auto einen kräftigen Klaps (hoffentlich ist der auch innen zu hören) und bedenke den Fahrer mit ein paar nicht zitierfähigen Wünschen. Jetzt kommt mir jeder Sündenbock gerade recht, dem ich wenigstens ein wenig Mitschuld an meiner misslichen Lage in die Schuhe schieben kann.

Drei Kilometer vor dem Ziel; Psychotricks: "Nur noch zwei Kilometer bis zu der KM24-Marke, welche Du vorher gesehen hast. Dann ein Endspurt durch Bellheim. Das packst Du!". Irgendwie ...

Kilometer 24, noch ein Kilometer. "Komm Joachim!" keucht es von hinten. Schon fliegt Günter heran. Der ist natürlich stark, aber von einem M60-Läufer überholt zu werden, verpasst meinem ohnehin ramponierten Ego noch einmal einen herben Schlag. Dabei wäre das nun wirklich ein Moment zum Genießen: Die Straßen sind stimmungsvoll mit Fackeln beleuchtet, Publikum steht applaudierend an der Straße, irgendwo zischt und kracht ein Feuerwerk.

Endlich biege ich auf die Zielgerade ein. Noch ein paar Meter. Der Fotograf im Zielbereich empfängt mich mit einer Blitzlichtsalve. O Gott! Ich lieber nicht wissen, wie ich jetzt gerade aussehe ... Die Uhr zeigt 1:48:irgendwas. Mir doch egal.

Den Zielstrich habe ich übersehen oder es gibt gar keinen, jedenfalls bleibe ich erst im Zielkanal stehen und lasse mir die Startnummer scannen.

Nachdem ein Liter Getränke durch die Kehle geflossen ist, geht es mir wieder etwas besser. Über die Endzeit von 1:48:30 bin ich sehr enttäuscht. Nach den tollen Erfolgen im Vorjahr sind meine Ansprüche möglicherweise zu sehr gewachsen.

Fazit: Schwamm drüber, trainieren und beim nächsten Mal besser machen!


If you can meet with Triumph and Disaster
And treat those two impostors just the same ...
Rudyard Kipling: „If—“



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