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Marathon, Episode III

Berlin-Marathon 2005

Auf die Plätze...
Eine Dreiviertelstunde vor dem Start betrete ich den Startblock E. Mein Plan geht auf: Ich kann mich gleich in der ersten Reihe aufstellen. Das erspart mir hoffentlich einige Herumkurverei während der ersten Kilometer. Schließlich möchte ich bei meinem dritten Marathon meine persönliche Bestzeit noch einmal ein Stück drücken, möglichst unter die 3:15.

Eine Horde „Gallier“ betritt den Startblock und sorgt für Stimmung. Asterix, Obelix (sogar mit Hinkelstein) und seine Mannen sind wirklich toll verkleidet. Troubadix stellt sich vor unseren Block, zückt die Leier und säuselt in die Menge „Soll ich Euch ein Liedlein singen?“

Fertig...
Plötzlich steht Frank vor mir. Gestern haben wir auf der Pasta-Party bereits besprochen, dass wir den Marathon heute gemeinsam beginnen wollen. Er hat sich eine neue Bestzeit von 3:12 vorgenommen, möchte aber zunächst etwas langsamer angehen. Das passt ganz gut zu meinem geplanten Tempo; wenn ich dann, wie bei meinen ersten beiden Marathonläufen, ab Kilometer 10 so richtig ins Rollen komme, kann ich sein Tempo möglicherweise auch weiter mitgehen.

Ein letzter Check: Die Startnummer sitzt, der Chip für die Zeitmessung ist am Schuh befestigt, beide Schnürsenkel sind mit doppelten Knoten versehen... Mist – die Sonnencreme habe ich vergessen! Na egal, den Sonnenbrand werde ich erst hinterher spüren.

Ich drehe mich um und sehe endlose Massen von Läufern. Die eindrucksvolle Atmosphäre wird durch 5 Hubschrauber (vermutlich vom Fernsehen) verstärkt, welche knatternd über dem Startbereich schweben. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

Los!
Bürgermeister Wowereit feuert den Startschuss ab, aber zunächst einmal passiert überhaupt nichts. Erst nach und nach setzt sich das Feld in Bewegung und nach knapp zweieinhalb Minuten passieren wir die Startlinie.

Nach ein paar hundert Metern teilt sich das Feld und umströmt die Siegessäule. Dieses eindrucksvolle Bild hatte ich bereits mehrfach im Fernsehen bewundert, jetzt bin ich endlich selbst mit dabei – Wahnsinn!

Obwohl wir bereits in einem der vorderen Startblöcke gestartet waren, geht es nicht im gewünschten Tempo vorwärts, besonders, als die Straßen etwas enger werden. Immer wieder suchen wir Lücken, um uns etwas nach vorne zu schieben. Auch in den Zuschauerreihen sind kaum Lücken zu finden. Die Stimmung ist riesig.

Bei Kilometer 8 wartet zum ersten Mal mein „Fanklub“ mit einer Trinkflasche. Meine Eltern haben eine Einladung zu Bekannten bekommen und unterstützen mich nun zusammen mit Ulrike und Armin nach Kräften. Die Übergabe klappt wunderbar und die lautstarke Anfeuerung gibt mir einen zusätzlichen Schub. Durch die individuelle Verpflegung kann ich einen weiten Bogen um die folgenden Verpflegungsstellen machen. An denen herrscht ein chaotisches Getümmel. Manche Läufer bleiben unvermittelt stehen oder scheren plötzlich zur Seite aus. Der Boden ist glitschig von Wasser und Iso-Getränken. All das wird vom Krachen der splitternden Plastikbecher unter unseren Schuhen begleitet.

Kilometer 10: Wir haben bereits 50 Sekunden Rückstand auf die Sollzeit. Frank will jetzt das Tempo verschärfen. Ich winke ab, mein Puls ist bereits jetzt viel höher, als ich geplant hatte. Ein höheres Tempo würde mir sicher den Rest geben. Ich wünsche Frank viel Erfolg und sehe zu, wie er davonzieht.

Step by Step
Ab Kilometer 13 läuft es endlich rund. Der Puls beruhigt sich und ich kann das Tempo etwas anziehen. Jetzt macht der Marathon richtig Spaß. Mit jedem Kilometer hole ich ein paar Sekunden auf und fühle mich richtig gut.

Nun kann ich die Stimmung am Streckenrand so richtig genießen. Ich klatsche Kinderhände ab, spende den Bands Beifall, winke zu Fenstern hinauf.

An der Halbmarathonmarke ist mein Rückstand bereits auf ca. 20 Sekunden geschrumpft. Das klappt ja wunderbar. Es gibt praktisch keine Passagen ohne Zuschauerspalier, einige Zuschauer sind sogar verkleidet. Immer wieder sorgen Trommler, Bands und Cheerleader für Stimmung. Aus einem Fenster beschallt Klassik-Musik in beeindruckender Lautstärke den halben Straßenzug.

Nach dem Rathaus Schöneberg, so bei Kilometer 23, halte ich Ausschau nach dem Stand des Forumteams. Diese Passage habe ich vor einigen Tagen bereits mehrfach mit „Google Earth“ durchflogen. Da vorne ist das Forumsplakat und daneben erkenne ich auch Sabines roten Haarschopf. Sie hat mein Winken erkannt und reicht mir meine Flasche. Leider habe ich keine Zeit für ein paar Worte, die tickende Uhr jagt mich weiter über die Strecke.

Der Himmel über Berlin
ist wolkenlos. Vergeblich hatte ich versucht, ein paar aufziehende, leichte Schleier als Wolken zu deuten. Nun ist es ganz schön warm geworden. Nach und nach, so ca. ab Kilometer 28, fällt mir das Laufen schwerer. Die Euphorie der letzten Kilometer ist bald verflogen und mir wird klar: Das wird heute ein ganz hartes Stück Arbeit. Aber bei Kilometer 30 habe ich erstmals einen winzigen Vorsprung auf meine Marschtabelle herausgelaufen: satte 5 Sekunden...

Ick bin ein – Pfannkuchen
Nein, es geht nicht darum, dass die Berliner in Berlin Pfannkuchen heißen – ab Kilometer 32 bin ich platt wie ein Pfannkuchen. Die Knie werden weich, dafür die Waden und Oberschenkel hart. Jetzt muss ich bereits alle Kräfte mobilisieren, um einigermaßen das Tempo zu halten. Nach 35 Kilometern habe ich 14 Sekunden Reserve herausgelaufen.

It's just a jump to the left...
An der letzten Verpflegungsstelle halte ich nach meiner Flasche Eigenverpflegung Ausschau. Da mir mein Vordermann etwas störend im Weg herumläuft, muss ich mir mit zwei kurzen Seitschritten die Flasche schnappen und wieder zurück springen. Aaaaah! Sofort spüre ich in beiden Waden einen nahenden Krampf! Das hat mir gerade noch gefehlt! Vorsichtig nehme ich das Tempo einen Tick zurück und versuche, möglichst locker zu laufen. Der Schmerz lässt langsam nach, aber die Waden sind hart und ziehen verdächtig.

Versiebt in Berlin
Plötzlich taucht Frank wieder vor mir auf. Mist! Das mit seiner Bestzeit ist damit gelaufen, auch die 3:15 wird er nicht mehr halten können. Der weit nach hinten gelehnte Kopf verheißt nichts Gutes. Aber er kämpft eisern um jede Sekunde. Wirklich bewundernswert, könnte er doch jetzt, da seine Ziele unerreichbar geworden sind, einfach locker ins Ziel joggen. Ich klopfe ihm auf die Schulter, als ich ihn erreiche und er gibt mir ein paar aufmunternde Worte mit auf den Weg.

Auch ich kann mir die 3:15 wohl abschminken. Zwar bin ich gerade noch so auf Kurs, aber ich verliere auf jedem Kilometer ein paar Sekunden und kann das Tempo nicht mehr halten. Mein Zeitpolster ist nahezu aufgebraucht. Ich bin inzwischen völlig auf die „Blue Line“ fixiert, welche die Ideallinie durch die Straßen Berlins markiert.

Boulevard of Broken Dreams
Kilometer 40, „Unter den Linden“. Eine ganze Galerie von gehenden und stehenden Mitstreitern muss Tempo, Distanz und Wärme Tribut zollen. Ich habe mich ebenfalls damit abgefunden, meine Wunschzeit knapp zu verfehlen. Immerhin sollte es noch für eine persönliche Bestzeit reichen – wenn der drohende Krampf nicht doch noch zuschlägt. Im Wadenmuskel zuckt und zieht es immer wieder verdächtig.

Tor, Tor, Tor...!
Dann taucht das rote Tor mit dem „Teufelslappen“ vor mir auf. Wenn ich dort durch bin, bleibt nur noch ein letzter Kilometer. Auf einmal werden längst entschwunden geglaubte Kräfte frei und ich nehme ganz langsam etwas Tempo auf. Zunächst ist es mehr ein innerer Impuls als eine bewusste Handlung, aber ich werde tatsächlich etwas schneller. Ein elektrisierendes Gefühl – am Ende könnte ich es doch noch versuchen! Unendlich langsam kommt der Bogen näher, aber ich sehe bereits das Brandenburger Tor hindurchschimmern. Dies wird der nächste Fixpunkt, an dem sich Augen und Gedanken festsaugen. Mein Tunnelblick führt genau durch die Tore hindurch, nur schemenhaft nehme ich die Zuschauer war. Weiter, nur weiter! Da durch, dann kommt gleich das Ziel. Warum kommt das Tor nur so langsam näher?

Dann laufe ich endlich durch das Brandenburger Tor. Wie oft habe ich in den letzten Wochen von diesem Augenblick geträumt. Aber wo ist das Ziel? Oh nein– das sind doch nie und nimmer nur noch die angekündigten 200 Meter! Auch dieser letzte Torbogen über dem Ziel kommt nur quälend langsam näher. Direkt vor mir nimmt ein Ordner einen taumelnden Läufer von der Strecke. Ich laufe endgültig am Anschlag. Wenige Meter vor dem Ziel sehe ich auf die Uhr: 3:14:33. Mensch, ich brauche doch keine halbe Minute mehr! Wahnsinn – ich schaffe es doch noch! Einen letzten Moment die Zähne zusammenbeißen, Druck machen - Jaaaaaaa!

Ich bin im Ziel, atemlos stütze ich mich auf die Knie. Ein Sanitäter kommt auf mich zu und fragt, ob alles OK ist. Obwohl ich ihm das bestätige, bleibt er an meiner Seite. Eine halbe Minute und viele, tiefe Atemzüge später richte ich mich wieder auf. Als er in mein strahlendes Gesicht sieht, lächelt er und kümmert sich um die anderen Läufer.

3:14:47: Geschafft!




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